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Niedrige Testraten kosten Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs Jahre ihres Lebens

Autor: Manuela Arand

Inzwischen gibt es 17 onkologische Spitzenzentren in Deutschland. Inzwischen gibt es 17 onkologische Spitzenzentren in Deutschland. © RAJCREATIONZS – stock.adobe.com
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Die Therapie des NSCLC sollte sich nach den nachgewiesenen Treibermutationen richten. Denn behandelt man den Patienten gezielt, bessern sich seine Überlebenschancen deutlich. Doch es wird viel zu wenig auf Mutationen getestet. Dadurch gehen jährlich Tausende Lebensjahre verloren.

Die systemische Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) wird zunehmend molekular gesteuert. Neben den etablierten und zugelassenen Inhibitoren bestimmter Treibermutationen (EGFR, ALK, ROS1 und BRAF) gibt es immer mehr neue Wirkstoffe gegen weitere Mutationen. Deren Einsatz ist zurzeit klinischen Studien vorbehalten oder erfolgt in Erwartung der Zulassung (noch) off label.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen gehe in der Regel mit, wenn man ihren Einsatz sauber begründe, so die Erfahrung von Professor Dr. Jürgen Wolf, Centrum für Integrierte Onkologie, Universität Köln. Er rechnet schon bald mit einer ganzen Fülle neuer Substanzen, die – so wie die KRAS-Inhibitoren – vielen Patienten zugutekommen könnten, oder auch nur winzige Teilbereiche des großen NSCLC-Kuchens abdecken.

Die Testraten liegen zwischen 53 % und 75 %

In wenigen Jahren dürfte man etwa jeden zweiten NSCLC-Patienten molekular zielgerichtet behandeln. „Durch molekulare Sequenztherapien können Jahre an Überleben herausgeholt werden“, betonte der Onkologe. Das bedeutet, dass jeder Patient vor Beginn der Erstlinientherapie und immer wieder im Verlauf eine komplexe Molekulardiagnostik erhalten muss. Next Generation Sequencing (NGS) ist alternativlos, befand Prof. Wolf.

Derzeit ist die Situation in Deutschland allerdings alles andere als optimal. Die Testraten auf die Standardmutationen sind in den letzten Jahren kaum gestiegen. Vor Beginn der Erstlinientherapie betragen sie zwischen 53 % (BRAF) und 75 % (EGFR), so die Ergebnisse des 5000 Patienten umfassenden CRISP-Registers fürs vierte Quartal 2018.

„Eine desaströse Situation. Diese Mutationen sind seit Jahren in der Leitlinie verankert – der Verzicht auf das Testen bedeutet einen Verlust von Tausenden Lebensjahren pro Jahr in Deutschland“, kommentierte Prof. Wolf. Das Problem sieht er weniger in der Finanzierung als im Innovationstransfer in die Kliniken und Praxen.

Herausforderungen liegen nicht nur darin, die NGS-Diagnostik weiter zu optimieren und dann zu implementieren. Die immer komplexer werdenden Resultate erfordern ein hohes Maß an Expertise, um sie zu interpretieren und daraus Therapieempfehlungen abzuleiten. Prof. Wolf wünscht sich außerdem, dass alle Patienten Zugang zu moderner Diagnostik und Therapie erhalten. Dazu gehört auch, dass neue Medikamente früh verfügbar sind, sei es in Studien oder off label. Schließlich braucht es digitale Registersysteme, die nicht nur Daten sammeln, sondern Evidenz generieren.

Ziel ist eine intelligente Arbeitsteilung zwischen spezialisierten Zentren und Versorgern. Molekulare Dia­gnostik, Tumorboards und Entwicklung von Therapieempfehlungen sollten im onkologischen Zentrum erfolgen, ebenso die translationale Forschung und das Führen der entsprechenden Datenbanken. Ambulanzen und Praxen übernehmen dann die heimatnahe Betreuung der Patienten.

Das Netzwerk Genomische Medizin, 2012 in Köln gegründet, wurde mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe inzwischen bundesweit ausgedehnt. Anfangs umfasste es 15 onkologische Spitzenzentren in ganz Deutschland, inzwischen sind noch zwei weitere dazugekommen. Allein in Köln werden jährlich 5000 Patienten molekular diagnostiziert, was ca. 10 % der deutschen NSCLC-Patienten entspricht, berichtete Prof. Wolf. Die Datenbank umfasst sogar Daten von 25.000 Patienten. Um jede „Baustelle“ im System, von der genomischen Diagnostik bis hin zum Dialog mit den Krankenkassen, kümmert sich eine eigene Task Force, sechs sind es insgesamt.

Die Task Force 1 soll die NGS-Diagnostik bundesweit harmonisieren mit einheitlichen Standards für Prüfpanels, Stand Operating Procedures und Berichten sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Task Force 2 ist für Dokumentation und Evaluation zuständig, wozu auch die digitale Vernetzung zwischen allen Beteiligten zählt – „ein ungelöstes Problem in der gesamten Onkologie“.

„Je komplexer die Diagnostik, desto unlesbarer die Befunde“

Thema von Task Force 3 ist die Beratung im Sinne einer Harmonisierung von molekularen Befunden und daraus abgeleiteten klinischen Informationen. Prof. Wolf sieht es nüchtern: „Je komplexer die Diagnostik, desto unlesbarer werden die Befunde.“ Ziel ist, Textbausteine zu entwickeln, die ubiquitär eingesetzt werden können. Ab dem zweiten Quartal 2020 soll es so weit sein.

Task Force 4 ist zuständig für klinische Studien. Task Force 5 kümmert sich – sehr erfolgreich – um das Thema Kostenerstattung, die heute für 70 % der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC unter Dach und Fach ist. Task Force 6 schließlich beschäftigt sich mit translationaler Forschung.

Kongressbericht: 34. Deutscher Krebskongress