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2 Liter am Tag trinken? Zu viel Flüssigkeit nutzt weder Nierenkranken noch Gesunden

Autor: Dr. Michael Brendler

Zu viel trinken beschleunigt den Funktionsverlust 
bei Niereninsuffizienz. Zu viel trinken beschleunigt den Funktionsverlust bei Niereninsuffizienz. © fotolia/LIGHTFIELD STUDIOS
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Zwei Liter am Tag trinken – mindestens. Dieser Rat ist nicht nur im Internet und in Apothekenzeitschriften verbreitet, nieren­insuffizienten Patienten wird er auch in Arztpraxen mit auf den Weg gegeben. Dabei ist er wissenschaftlich gesehen völlig unbegründet.

Die Wasserflasche als ständiger Begleiter ist schon bei Gesunden sinnlos. „Der Mythos, dass man mehr als zwei Liter pro Tag trinken muss, modifiziert eine Empfehlung des US Food and Nutrition Board aus dem Jahr 1945. Er hat bis dato keinerlei wissenschaftliche Evidenz“, schreibt Dr. Maida Mahmud von der Abteilung für Nephrologie des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Was sollte die Überdosis auch bringen? 800 mosmol harnpflichtige Substanzen produziert der Mensch am Tag, rechnet die Autorin vor, bis auf 1200 mosmol/l kann er seinen Urin konzentrieren – per einfachem Dreisatz ließe sich damit ausrechnen, dass die minimale tägliche Urinmenge 670 Milliliter beträgt, so die Autorin. Größere Mengen könnten laut Studien weder das Krebsrisiko senken noch Gelenk- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern.

Bei Nierensteinen sind mehr als zwei Liter sinnvoll

„Allerdings gibt es auch keine Daten, die zeigen, dass eine hohe Trinkmen­ge schadet“, schreibt Dr. Mahmud. Vorausgesetzt, man lässt den konsekutiven Blutdruckanstieg außer Betracht, wenn auch noch entsprechende Mengen Salz ergänzt werden, und treibt es nicht so weit, dass man sich mit mehr als fünf Litern Flüssigkeit pro Tag in eine Hyponatriämie navigiert.

Auch was die Niere angeht, gibt es keine Daten, die zeigen, dass beim Menschen eine hohe Trinkmenge die Progression von chronischen Nierenerkrankungen verlangsamt“, erklärt die Expertin. Davon ausgenommen sind selbstverständlich akute Dehydrationszustände.

Patienten mit einer hohen Flüssigkeitszufuhr zeigten in einer retrospektiven Analyse sogar einen beschleunigten Funktionsverlust. Weil unter der Insuffizienz allerdings die Konzentrationsfähigkeit des Organs leidet, muss die Mindesttrinkmenge entsprechend angeglichen werden.

Hilfreich ist eine Flüssigkeitszufuhr von zwei oder mehr Litern am Tag aber gegen Nierensteine, das wurde laut der Autorin in mehreren Studien erwiesen, und zwar sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprophylaxe. Auch bei einer polyzystischen Nierenerkrankung können drei bis vier Liter Wasser am Tag die Progredienz bremsen.

Für Senioren gilt: 1,2 bis 1,5 Liter am Tag

Für alle anderen gilt aber: Das Durstgefühl soll „Manager des Flüssigkeitshaushalts“ bleiben. „Als einer der bestregulierten Mechanismen im menschlichen Körper“, schreibt Dr. Mahmud, „alarmiert es uns rechtzeitig, wenn Bedarf an einer erneuten Flüssigkeitszufuhr besteht.“ Es gibt jedoch eine Ausnahme: Bei älteren Menschen stellt dieser Manager zunehmend die Arbeit ein. Wegen einer höheren Anfälligkeit für Dehydrationszustände sollten sie deshalb von den üblichen Regeln abweichen und täglich mindestens 1,2 bis 1,5 Liter trinken.

Quelle: Mahmud M et al. internist. prax. 2017; 58: 417-422